Montag, 26. September 2011

Gravitative Zeitdilatation

So, weiter gehts mit den Neutrinos :-)
Im Erdgravitationsfeld kann folgende Gleichung verwendet werden:
T=T0(1+gh/c²)
Dabei ist T0 die Zeit, die bei h=0 und g die Erdbeschleunigung. Der Höhenunterschied zwischen Gran Sasso und CERN ist maximal 1000 m. Daraus folgt ein Laufzeitunterschied zwischen beiden Uhren aufgrund von unterschiedlich viel Masse "unter ihnen" von ca.
ΔT=gh/c²=T0*1*10⁴/(9*10¹⁶)  < T0*10⁻¹².
Offensichtlich ist dieser Effekt viel viel zu klein um die 60 ns Zeitunterschied bei einer Gesamtflugzeit von T0=2 ms zu erklären.

Betrachten wir noch zwei klassische Effekte:
Zentrifugalkraft:
FZ=m ω² r
Wobei ω die Rotationsgeschwindigkeit der Erde und r der senkrechte Abstand von der Rotationsachse. Da Gran Sasso näher am Äquator liegt als CERN ist dort auch der senkrechte Abstand zur Erdachse größer und damit die Zentrifugalkraft auf die Neutrinos. Da es hier um das Abschätzen von Effekten geht, nehmen wir die maximale Zentrifugalkraft an und lassen sie die ganzen 2 ms auf die Neutrinos wirken. Die maximale Beschleunigung ist in Gran Sasso aufgrund von Zentrifugalkräften
a(max)=ω² r(max) = ω² R cos(θGran Sasso)=7 * 10⁻³ m/s²
Nun lassen wir diese Beschleunigung a 2 ms auf die Neutrinos wirken. Dies führt zu einer Geschwindigkeitserhöhung von v=a*t=7 * 10⁻³ m/s² * 2 ms=14* 10⁻6 m/s.
Was in einer Distanz von 28* 10⁻⁹ m resultiert. Nicht berücksichtigen der Zentrifugalkraft würde also in der Größenordnung von nm liegen und kann auf keinen Fall 18 m erklären.

Corioliskraft
Die Corioliskraft hängt von der Geschwindigkeit der Teilchen ab und von der Äquatornähe (der obige Winkel theta ist nun durch 90°- phi gegeben).  Hier sind die Formeln für die Corioliskraft für östlich fliegende Teilchen (zeigt in N-S-Richtung) und für nördlich fliegende Teilchen (also "minus südlich fliegend") und wirkt in W-O-Richtung.
  F_\mathrm{C, N} = - 2 \cdot m \cdot \omega \cdot v_\mathrm{O}\cdot \sin \varphi

 F_\mathrm{C, O} = 2 \cdot m \cdot \omega \cdot v_\mathrm{N}\cdot \sin \varphi
Genauso wie oben wirken die größten Corioliskräfte in Gran Sasso. Die Neutrinos haben Geschwindigkeiten in der Größenordnung von c. Die jeweiligen Komponenten in W-O-RIchtung bzw. N-S-Richtung sind natürlich kleiner. Aber wir wollen sehr konservativ rechnen und nehmen dafür bei beiden Komponenten c.
Dies führt zu folgenden Coriolisbeschleunigungen:
a = 2*c*ω*cos(θ) = 9100 m/s²
Wie oben rechnen wir diese Beschleunigung auf eine Strecke um:
L=9100 m/s² * 2 ms * 2 ms =0,04 m
Die Corioliskraft würde also sqrt(0,04²m²+0,04²m²) = 0,06 m von 18 m erklären.

Also: Keine klassischen Effekte aufgrund dessen, dass das Experiment nicht in einem IS stattfindet, können die 18 m bzw. 60 ns die die Neutrinos "abgekürzt" haben bzw. "zu schnell" waren, erklären.
Weder gravitative noch speziell relativistische Zeitdilatation liegen in der Größenordnung dass sie auch nur ansatzweise einen Einfluss haben können.
Im ersten Artikel zu den Neutrinos hatte ich auch schon die Raumverzerrung (Stichwort Gravitationslinseneffekt) berechnet und gezeigt, dass dieser Effekt zuerst eine Streckenverlängerung verursacht und auch nicht in der gesuchten Größenordnung liegt.

Der letzte noch zu untersuchende Effekt, der noch in zahlreichen Blogs "diskutiert" wurde, ist der Lense-Thirring-Effekt (Gravitomagnetischer Effekt, der z.B. dafür verantwortlich ist, dass die Bahnebene des Mondes aufgrund der Eigenrotation der Erde sich verschiebt).
Ich denke, dass dieser Effekt einen noch geringeren Einfluss hat als die bislang diskutierten.
Aufgrund der fortgeschrittenen Stunde werde ich diesen Effekt morgen unter die Lupe nehmen.
Tschö :-)

Noch ein paar Rechnung bzgl. des Neutrino-Experiments

1. Der Sagnac-Effekt:
Dieser klassische Effekt kann zur Bestimmung der Selbstrotation genutzt werden. Betrachtet man die Erde aus dem Weltall, so haben Punkte auf dem Äquator eine höhere Tangentialgeschwindigkeit bzgl. der Rotationsachse der Erde (mit ω=2*pi/(23h56min) ), als Punkte in Polnähe.
Der Weg der Neutrinos geht vom CERN (46°14′ N, 6° 2′ O) nach Gran Sasso (42° 28′ N, 13° 33′ O). Die Strecke hat also eine Komponente die tangential zur Rotationsachse ist.
Würde man nun Interferrometrie betreiben und den einen Arm senkrecht zur Rotationsachse und den anderen parallel zur Rotationsachse und beide Strahlen interferieren lassen, so würde man ein Interferenzbild erhalten, aus dem man die Rotationsgeschwindigkeit der Erde errechnen kann. Denn das Licht des ersten Arm muss eine weitere Strecke laufen, falls die Erde rotiert, als wenn sie nicht rotieren würde.
Ok, wahrscheinlich habe ich den Effekt komplizierter erklärt, als er ist. Es geht darum, dass sich aus Sicht eines äußeren Inertialsystems (Weltall) Gran Sasso schneller in diesem Raum bewegt, als CERN.
Schaut man sich dieses Bild vereinfacht auf einer rotierenden Scheibe an, so wäre der Effekt maximal, wenn CERN und Gran Sasso auf dem gleichen Radius liegen würden (also auf einer Strecke vom Mittelpunkt ausgesehen) und CERN etwas näher am Mittelpunkt als Gran Sasso.
Für den Geschwindigkeitsunterschied aufgrund dieses geometrischen Effekts sind nur die Nord-Koordinaten ausschlaggebend.
Man kann leicht eine Formel für den tangentialen Geschwindigkeitsunterschied herleiten:
Δv=ωR(cos(θ_CERN)-cos(θ_GranSasso))
Dabei ist R der Erdradius von ca. 6370 km und die Winkel ergeben sich aus der richtigen Umrechnung aus den obigen geographischen Koordinaten.
Die Neutrinos fliegen ca. 2 ms durch die Erdkruste, das Δv gibt den Geschwindigkeitsunterschied für den Sagnac-Effekt der beiden Punkte der Flugstrecke an.
Daraus folgt eine Ungenauigkeit in der Flugstrecke der Neutrinos von
ΔL=Δv*2ms=0,042 m=4,2 cm.
Zusätzlich würde das zu einer Streckenverlängerung und nicht zu einer Verkürzung führen, da die Erde sich so dreht, dass Gran Sasso vor den Neutrinos "wegläuft".

2. Zeitdilatation (SRT)
Wie beschrieben, aus einem Inertialsystem betrachtet, bewegt sich Gran Sasso schneller, als CERN. Dies führt dazu, dass ein Vergleich der Uhren des CERN und Gran Sassos jeweils eine Zeitverzögerung aufzeigen würden.
Dieser Effekt ist von der Relativgeschwindigkeit abhängig und würde "doppelt" eingehen, wenn beiden Experimentatoren der maximale Fehler unterlaufen würde.
Die Relativgeschwindigkeit v ergibt sich aus der obigen Rechnung: 4,2 cm / 2 ms = 21 m/s.
Zeitdilatation: T_0=T'*sqrt(1-v^2/c^2).
Daraus ergibt sich ein maximaler Fehler von (mit T'= 2 ms)  ΔT=2*(T_0-T')<10^(-11) ms=10^(-5) ns.
Dieser Effekt ist also auch zu vernachlässigen.
Nachher werde ich die Zahlen nochmal überprüfen (sieht mir etwas zu klein aus) und noch was zur Zeitdilatation aufgrund der Gravitation sagen.

Tschö!

Samstag, 24. September 2011

Neutrinos schneller als das Licht?

Gestern wurde ein Paper mit der Überschrift "Measurement of the neutrino velocity with the OPERA detector in the CNGS beam" veröffentlicht, in welchem Forscher des OPERA-Experiments in Gran Sasso und Forscher des CNGS-Experiments am CERN ein für die Physikergemeinde sehr faszinierendes Messergebnis veröffentlichten: Die Geschwindigkeit von Neutrinos ist größer als die des Lichts im Vakuum. Falls sich dies als stichhaltig herausstellen sollte, wäre es wahrscheinlich die größte Sensation der Physik der letzten 50 Jahre oder mehr, denn es bringt möglicherweise ein Fundament der modernen Physik ins Wanken. Denn ein Fundament Einsteins Relativitätstheorie ist, dass die Lichtgeschwindigkeit eine universelle Geschwindigkeitesobergrenze darstellt.

Ich werde nun ein bisschen tiefer in die Materie gehen und folgendes bleuchten:
  1. Was sind Neutrinos
  2. Neutrino-Experimente
  3. Wie haben die Forscher die Geschwindigkeit der Neutrinos gemessen?
  4. Kommentare meinerseits zum Messergebnis
  5. Implikationen dieser Messung auf die heutige Physik
1. Neutrinos (nicht zu verwechseln mit Neutronen = neben den Protonen und Elektronen Bausteine des Atoms) sind Elementarteilchen und wurden 1930 aufgrund von Impulserhaltung im Beta-Zerfall von Neutronen von Wolfgang Pauli1 postuliert, aber erst 1956 nachgewiesen und gehören daher zu den neueren Elementarteilchen, die den Physikern bekannt sind.
Neutrinos geben viele Rätsel auf und sind schwer zu detektieren, da sie nur schwach wechselwirken. Von den drei Wechselwirkungen: Elektromagnetische, Starke und Schwache Wechselwirkung, wirkt nur die letztere auf Neutrinos. Neutrinos sind also elektrisch neutral und durchdringen jedes Material, was sich ihnen in den Weg stellt.
Als man anfing solare Neutrinos2 zu messen, stieß man auf folgendes Problem. So genannte Standard-Sonnen-Modellen (SSM) sagten einen gewissen Neutrinofluss auf der Erde voraus, aber man maß weniger als 1/3 dieses Neutrinoflusses. Die Lösung brachte die Idee, dass es 3 Arten (Elektron-Neutrino, Myon-Neutrino und Tauon-Neutrino) von Neutrinos gibt und sich diese während des Fluges von der Sonne zur Erde ineinander umwandelten (Neutrinooszillation). Das SSM sagte eine gewisse Anazhl von Elektron-Neutrinos auf der Erde voraus und das Experiment zur Messung auf der Erde war nur sensitiv für diese eine Art. Die fehlenden 2/3 Neutrinos, waren Elektron-Neutrinos, die sich auf dem Flug zur Erde in Myon- bzw. Tauon-Neutrinos umgewandelt hatten und daher nicht gemessen werden konnten.
Diese Neutrinooszillationen sind aber nur möglich, wenn alle drei Neutrinoarten eine von Null verschiedene Masse und zusätzlich alle drei unterschiedliche Massen haben. Zu Anfang war man der Meinung, dass Neutrinos wie Photonen masselose Teilchen sind. Daher3 wurden viele Experimente ersonnen, um die Neutrinooszillationen und die Masse von Neutrinos zu untersuchen.

2. Im Prinzip gibt es 3 Arten von Experimenten um die Eigenschaften von Neutrinos zu vermessen.
Zuerst zur "Direktmessung":
Man untersucht den Beta-Zerfall von Tritium (Natürliches Isotop von Wasserstoff) und vermisst das Energiespektrum der beim Zerfall
 (n=Neutron, p=Proton, e=Elektron, nu_e=Elektron-Neutrino)
ausgesandten Elektronen4. Daraus kann man aufgrund von Energie und Impulserhaltung auf die Ruhemasse von Neutrinos schließen.
Das faszinierende bei diesen Experimenten ist, dass überwiegend "negative Massenquadrate" gemessen wurden.
Durch einfache Impuls und Energieerhaltung kommt man auf die Gleichung
die die Energie der detektierten Elektronen in Abhängigkeit von der Elektron-Neutrino-Masse-zum-Quadrat und den Neutrino-Impuls angibt. E_0 ist eine bekannte Konstante. Die höchste Elektronenenergie ergibt sich, falls das Neutrino keinen Impuls hat und damit der hintere Summand in der Wurzel Null wird. Vermisst man also das Energiespektrum der Elektronen, dann bekommt man die Masse des Neutrinos aus dem Schnittpunkt des Spektrums mit der Energieachse: Im unteren rechten Bild: Schnittpunkt der blauen bzw. roten Kurve mit der blauen Linie.


 Die beiden Bilder zeigen das Energiespektrum der Elektronen, also die Anzahl der Elektronen gegen ihre Energie. Da überaus wenige Elektronen die maximale Energie erreichen (grau schraffiertes Gebiet), kann man nicht einfach den Schnittpunkt bestimmen, sondern versucht die theoretische Kurve, die durch die obige Formel gegeben ist, so gut wie möglich an die Messwerte anzupassen, indem man das unbekannte Neutrinomassen-Quadrat variiert (Physiker nennen das einen Fit). Es stellte sich heraus, dass der beste Fit, also die beste Übereinstimmung mit den gemessenen Daten, bei einem Massenquadrat nahe Null, aber negativ, ergibt. Das Neutrinos sehr leicht sind, stimmt mit den Erwartungen überein, aber ein negatives Massenquadrat würde eine imaginäre Masse bedeuten. Imaginäre Massen sind physikalisch nicht ad hoc zu verstehen, aber wir kommen darauf später zurück, wenn es um Tachyonen geht. Das gerade beschriebene Experiment wurde u. A. in Mainz durchgeführt und näheres dazu kann man in der Veröffentlichung The neutrino mass direct measurements von Ch. Weinheimer nachlesen. Es liegt nahe, dass das negative Massenquadrat nicht tatsächlich durch eine imaginäre Masse hervorgerufen wird, sondern durch weitere unberücksichtigte Energieverluste der vermessenen Elektronen.

Neutrinooszillationen
Ein weiterer Ansatz zur Vermessung der Neutrinomasse ist indirekt und geht über die Vermessung der Neutrinooszillationen, also der Umwandlung der drei Neutrino-Arten. Solche Experimente werden in den USA (SNO-Experiment = Sudbury Neutrino Observatory), in Japan (KamLAND-Experiment) und in Europa (CNGS-Experiment= CERN Neutrino to Gran Sasso) durchgeführt.

Beim Gran Sasso-Experiment, wird am CERN ein Neutrinostrahl erzeugt, der 732 km durch die Erdkruste geschickt wird und dann in Gran Sasso am OPERA-Experiment vermessen wird. Die Wahrscheinlichkeit Neutrinos in einer der 3 Arten vorzufinden ist abhängig vom Ort und indem man die Anzahl von Neutrinos einer Art in Abhängigkeit vom Ort vermisst, kann man auf die Massendifferenz der drei Neutrinoarten schließen.

Die Neutrinooszillations-Thematik ist ein breites Feld, aber der Grundgedanke ist quantenmechanischer Natur und wird dadurch erklärt, dass die Flavour-Eigenzustände nicht gleich den Masse-Eigenzuständen sind. Diese Massenzustandsmischung wird durch die MNS-Matrix beschrieben. Ob diese Matrix unitär ist, was das mit der CP-Verletzung zu tun hat und wie genau die "Mischungswinkel" sind usw., darum kümmern sich Myriaden von Teilchenphysikern.... ich schweife gerade ab... zurück zum Thema.



Natürliche Neutrinos
Eine dritte Möglichkeit ist das vermessen von natürlichen Neutrinos, also Neutrinos, die aus dem Weltall kommen oder in der Atmosphäre aufgrund von anderer kosmischer Strahlung entstehen. Dies wird u. A. an den oben genannten Experimenten durchgeführt. Explizit in unserem Zusammenhang muss man aber das Super-Kamiokande-Experiment aus Japan erwähnen.  Hier wurden 1987 elf Neutrinos 3 h vor dem Lichtblitz eines explodierenden Sterns (Supernova1987A) beobachtet. Die Interpretation dieser Messung besagt, dass die Neutrinos auch von der Supernova stammen und etwas früher auf der Erde detektierbar waren, da sie weniger mit Materie wechselwirken, als Photonen (der Lichtblitz) und daher bei der Explosion dem Stern eher entkommen konnten als die Photonen. Aus der Zeitverzögerung zwischen Neutrinos und Lichtblitz und der ungefähren Entfernung der Supernova1987A lässt sich der Geschwindigkeitsunterschied von Photonen und Neutrinos (v-c)/c<10^(-9) berechnen. Diese Messung steht sehr im Widerspruch zu der aktuellen Neutrino-Geschwindigkeitsmessung am CNGS-Experiment, um dessen Implikationen und Probleme es im Weiteren dieses Artikels gehen soll. Das entsprechende Paper bzgl. des Supernova1987A-Neutrinoausstoßes gibt es hier http://prl.aps.org/abstract/PRL/v58/i14/p1490_1.

3. Das CNGS-Experiment, wie oben beschrieben erzeugt Neutrinos, die am OPERA-Experiment, welches in direkter Linie 732 km entfernt ist, detektiert werden. Die Forscher haben in den letzten 3 Jahren insgesamt 16111 Neutrinos gemessen (was wiedereinmal zeigt, wie schwer und selten sich Neutrinos detektieren lassen) und haben die Flugzeit der Neutrinos "gestoppt". Dabei stellte sich heraus, dass die Neutrinos 60 ns schneller waren, als Licht im Vakuum. Dies stellt in zweierlei Hinsicht ein Problem dar. Laut den Axiomen der Relativitätstheorie darf kein Teilchen schneller als Licht sein und nur masselose Teilchen dürfen genausoschnell wie Licht sein.
Nun sollen Neutrinos laut den CNGS-OPERA-Forscher schneller als Licht sein, obwohl sie eine von Null verschiedene Masse besitzen.
Die Forscher haben lange gezögert und alle Messergebnise mehrfach überprüft bevor sie diese Sensation veröffentlicht haben. Nach einem Blick ins Paper ist klar, dass garantiert kein trivialer Fehler gemacht wurde. Außerdem hatte 2007 das MINOS-Experiment ähnliches gemessen. Doch dort war der Fehler auf die Messwerte noch so groß, dass das Messergebnis nicht unbedingt überlichtschnelle Neutrinos bedeutete. Die Frage jetzt ist hauptsächlich, nicht ob die 60 ns, die die Neutrinos zu schnell gewesen sind, nicht richtig gemessen wurde, sondern ob die von den CNGS-Forschern angegebene Messgenauigkeit von 6,9 ns (statistischer Fehler) + 7,4 ns (systematischer Fehler) haltbar ist. Dies bedeutet nämlich ein sogenanntes 6-Sigma-Signal. Das bedeutet, dass die Neutrinos zu 99,99966% schneller sind als Licht. Revolutionen der Physik müssen natürlich auch mit spektakulärer Sicherheit gemessen werden. Daher überprüft jetzt auch die gesamte Physikergemeinde, ob die Fehlerangabe haltbar ist (oder ob nicht eine Fehlerquelle übersehen wurde) und ob der Messwert, also die 60 ns reproduzierbar sind. Physiker in den USA und Japan werden versuchen dieses Ergebnis zu reproduzieren. Erst wenn diese beiden Tests erfolgreich abgeschlossen wurden, kann man ernsthaft davon reden, dass Neutrinos schneller als Licht sind.
Da diese Messung ein solch fundamentales Prinzip der Physik verletzt, sind viele Physiker skeptisch (mich eingschlossen), ob nicht doch ein Fehler  den Experimentatoren unterlaufen ist. Dazu nun einige Kommentare

4. Oben habe ich die beobachtete Verzögerung zwischen dem Lichtblitz und den Neutrinos der Supernova1987A erwähnt. Im Widerspruch zu diesen Daten publizieren die CNGS-Forscher aus ihren Messwerten einen Geschwindigkeitesunterschied zwischen Neutrinos und Photonen von
(v-c)/c = 2,48 10^-5, also 4 Zehnerpotenzen größer.
Das bedeutet, dass die Neutrinos nicht 3h vor dem Lichtblitz die Erde erreicht hätten, sondern 3-4 Jahre vorher (Diese Zahl schwankt um 1 Jahr, da die Entfernung der Supernova nicht so genau bekannt ist: 157.000 ± 16.000 Lichtjahre).
Leider war das Super-Kamiokande-Experiment 1983 noch im Aufbau, d.h. man kann nicht überprüfen, ob nun doch 3-4 Jahre vor der Supernova (1987) Neutrinos aus der Richtung die Erde getroffen haben und die 11 Neutrinos, die 3h vor dem Lichtblitz gemessen wurden eine andere Ursache haben.
Aufjedenfall widersprechen sich beide Experimente und ich erwarte die Auflösung dieses Widerspruches mit Hochspannung :-)

Geschwindigkeit ist Strecke pro Zeit. Die Neutrinoflugstrecke ist 732 km lang. Können die CNGS-Forscher die Entfernung überhaupt so genau  kennen? Dies ist die offensichtlichste Frage, die sich bestimmt jeder gestellt hat. Die Antwort darauf ist aber ein klares ja. Um die 60 ns durch die Ungenauigkeit der Streckenmessung zu erklären, hätten sich die Forscher um 18 m vermessen müssen. Jeder der ein Navi im Auto hat, weiß, dass das billigste Navi auf 1-2 m genau ist und hier handelt es sich um Spitzenforschung. In der Veröffentlichung wird geschrieben, dass sie die Entfernung auf 20 cm genau vermessen haben.

Haben die Forscher Effekte der Allgemeinen Relativitätstheorie berücksichtigt?
Hier kann ich nur sagen, ob sie das getan haben, weiß ich nicht, aber gravitative Effekte können niemals eine Zeitverzögerung in dieser Größenordnung erklären. Dazu kann man folgende Überlegung durchführen.
Sterne und Planeten krümmen den Raum und das führt zu Effekten wie der Lichtablenkung. Dies führt dazu, dass z.B. Licht von Sternen direkt hinter der Sonne um die Sonne herumgeleitet wird und wir trotzdem dieses Sternenlicht sehen, obwohl "auf gerader Linie" die Sonne den Stern für uns von der Erde verdecken würde. Diese gravitativen Effekte würden zwar zu einer Streckenverlängerung statt zu einer Streckenverkürzung führen (ein Bogen ist länger als seine Sehne), aber sie geben einen Anhaltspunkt für die Größenordnung gravitativer Effekte.
Die Erde als Punktmasse würde Licht im Abstand des Erdradius von ca. 6300 km um einen Winkel von 3* 10^(-9) ablenken. Dies kommt aus folgender Formel (Siehe dazu zum Bsp. Fließbach - Allgemeine Relativitätstheorie):

(G= Gravitationskonstante, M_E= Erdmasse, r_E=Erdradius, c=Vakuumlichtgeschwindigkeit, DeltaPhi=Asympthotischer Ablenkungswinkel zur Lichtausbreitung auf einer Geraden).
Dies führt zu einer längeren Strecke L' (Bogen) im Verhältnis zur Strecke L (Sehne)
Delta Phi ist so dermaßen klein, dass mein Taschenrechner keine Abweichung zwischen L' und L berechnen kann. Demnach hat dieser Effekt erst in der 9. Nachkommastelle von L einen Effekt. Dass heißt bei L=732 km ist dieser ART-Effekt in der Größenordnung von Mikrometern (Millionstel Meter). Da die Neutrinos durch die Erdkruste fliegen, müssten die Krümmungseffekte noch geringer sein, da sowohl oberhalb, wie auch unterhalb der Neutrinoflugstrecke gravitierende Masse ist. 
Obiges Bild stammt aus der Veröffentlichung der CNGS-OPERA-Forscher und zeigt das Monitoring der Ortsbestimmung. Sogar 4cm Verschiebung des Messstandpunktes aufgrund des l'Aquila-Erdbebens wurde detektiert. Aufgrund dieser Grafik kann man auch eventuelle Längenänderungen der Neutrinoflugstrecke aufgrund von Gezeitenkräten des Mondes oder anderer Planeten etc. ausschließen, da solche Gezeitenkräfte ein periodisches Signal (was in der Grafik offensichtlich nicht zu sehen ist) in der Ortsmessung ergeben müsste.

Eine Anmerkung noch zum Fehlerintervall das von den OPERA-CNGS-Forschern angegeben wurde. Der Systematische Fehler ergibt sich aus Fortpflanzung einer längeren Liste von systematischen Fehlern der einzelnen Messgeräte (das hört sich ein wenig verniedlicht an, die einzelnen Messgeräte sind unter anderem LKW-große Detektoren und Bauteile, die wiederum aus 1000den "Untermessgeräten" bestehen). Systematische Fehler darf man im Gegensatz zu statistischen Fehlern nicht ohne Weiteres als Wurzel der Summe ihrer Quadrate  zusammenrechnen. Dies ist zwar gängige Praxis und wurde auch hier gemacht, aber sicherlich einer der Schwachpunkte der Veröffentlichung.
Außerdem kann man hier einen Kommentar nachlesen, der den statistischen Fehler als zu klein angegeben sieht. Sollte dieser Australische Physiker Recht haben, so ist die Beobachtung, dass Neutrinos schneller als Licht sind kein 6-Sigma-Signal mehr, sondern nur ein 2-Sigma-Signal. Dies würde aber eine zu große Messunsicherheit darstellen um ernsthaft zu behaupten, dass Neutrinos schneller als Licht sind. Das Quailitätsmerkmal für solche Sensationsbeobachtungen ist in der Physikergemeinde auf 6-Sigma "festgelegt".

5. Welche Implikationen hat diese Beobachtung nun falls sie sich bestätigt?
In der Mainstream-Physik werden keine Teilchen erwartet, die die Lichtgeschwindigkeit überbieten. Daher kommt diese Beobachtung als Antwort daher, ohne dass jemand eine Frage in diese Richtung gestellt hätte.
Eine Meinung ist, dass man als Fundament der Relativitätstheorie nur eine invariante, endliche maximale Informationsgeschwindigkeit braucht. Nun wird diese nicht mehr von Photonen, sondern Neutrinos aufgestellt.
Diese Sichtweise hat aber wohlmöglich einen Haken (den ich aber selber noch nicht wirklich durchblicke), denn Einstein hat die Relativitätstheorie auf Basis der Elektrodynamik entwickelt.
Um 1900 bemerkte man, dass die Newton'sche Mechanik Galilei-Invariant war, aber die Maxwell'sche Elektrodynamik nicht. Diese ist Lorentzinvariant. Man versuchte lange die Maxwelltheorie anzupassen, bis Einstein mit seinem Relativitätsprinzip die Lorentzinvarianz als fundamental erklärte und man dann die Newton'sche Mechanik so anpasste, dass sie auch Lorentzinvariant wurde (Relativistische Mechanik).
Das Austauschteilchen der Elektrodynamik ist das Photon und dieses hat die Geschwindigkeit c. Genau dieses c steht auch in den Lorentztransformationen. Der obige "Nicht so schlimm"-Ansatz verlangt nun, dass man das c in den Lorentztransformationen durch c_Neutrino ersetzt. Aber das c, welches in den Maxwellgleichungen drinsteht, ist c_Photon und darf nicht durch c_Neutrino ersetzt werden. Die Frage ist nun, führt das zu Widersprüchen? Ist die Maxwelltheorie noch Lorentzinvariant, wenn man in den Lorentztransformationen das c austauscht, aber in den Maxwellgleichungen nicht?
Ich bin noch am Lernen und Verstehen und kann diese Frage nicht beantworten, sehe aber, dass es hier zu Problemen kommt, wenn eine Geschwindigkeit sich aufeinmal als 2 verschiedene Geschwindigkeiten herausstellt.

Zwar hat die Mainstream-Physik nicht erwartet, dass Neutrinos schneller als das Licht sind, aber es gibt Zahlreiche Physiker (seriöse), die auf diesem Gebiet forschen und das schon seit mehr als 30 Jahren.

Die Tachyonen
Die Relativitätstheorie schließt überlichtschnelle (FTL=Faster than light) Teilchen nicht unbedingt aus. Sie schließt nur aus, dass ein Teilchen von Unterlichtgeschwindigkeit  auf Überlichtgeschwindigkeit beschleunigt werden kann, denn dazu wäre unendlich viel Energie nötig (Da der Kosmos nach gängigen Urknall-Theorien (Friedmann-Kosmos etc.) endlichen Alters und Ausdehnung ist, gibt es keine unendliche Energie). Es könnte aber Teilchen geben, die immer schneller als c sind, so genannte Tachyonen.
Diese hypothetischen Teilchen sind sehr seltsam: Sie sind immer schneller als Licht und wenn sie Energie verlieren, dann werden sie schneller. Ja, richtig gelesen, sie werden schneller.
Die Argumentation läuft wie folgt:
E=mc^2=m_0c^2/sqrt(1-v^2/c^2)
Wenn nun ein Teilchen schneller als Licht ist (v>c), so wird der Radikand negativ und die Energie damit imaginär. Eine imaginäre Energie ist physikalisch unverständlich. Daher definiert man die Ruhemasse imaginär: m_Tachyon=i*z. Nun kann man E=mc^2 für Tachyonen aufstellen:
E_Tachyon=zc^2/sqrt(v^2/c^2 -1).
Ob nun eine imaginäre Masse physikalisch verständlicher als eine imaginäre Energie ist, sei dahingestellt. Dies ist aber laut Tachyonen-Forscher anscheinend sinnvoll.
Wie oben bei der Neutrino-Einführung erwähnt, wurde bei den Mainzer-Neutrino-Massenbestimmungen imaginäre Massen gemessen. Dies wäre ein experimenteller Nachweis dafür, dass Neutrinos Tachyonen sind.

Ihr merkt, hier komme ich in Untiefen der Physik, die ich (noch) nicht verstehe, aber auf diesem Gebiet arbeiten zahlreiche theoretische Physiker. Zum Beispiel wurde im Juli dieses Jahres ein Paper namens Implications for the Cosmic Ray Spectrum of a Negative Electron Neutrino (Mass)^2 von einem Theoretiker der George Mason University veröffentlicht.

Update 1:

Weitere gute Blog-Artikel zu diesem Thema (die ich größtenteils erst nach dem Verfassen meines Artikels gelesen hatte)
Update 2: