Samstag, 30. März 2013

Was ist Nation?

Das Internet als virtuelle Nation und Bindeglied der Zivilisationen

Orginal von Colocho, Lizenz: CC-BY-SA-2.5

In den Zeiten der Globalisierung gibt es die einen, die die Weltnation in greifbarer Nähe sehen und die anderen, die die Nationen als einzig mögliche Ordnungseinheiten sehen, die uns vor dem unvorhersehbaren Chaos einer vereinten Weltgemeinschaft schützen können. 1993 schürte Huntington mit „The Clash of Civilizations“ die Angst und erregte die Gemüter durch seine Prophezeiung, dass ideologische und ökonomische Faktoren als fundamentale Ursache von Konflikten zwischen Völkern und Nationen an Wichtigkeit verlieren werden, dagegen werden die grundlegenden Ursachen der großen weltpolitischen Konflikte kultureller Natur sein.1 Seiner Ansicht nach werden zwar Nationalstaaten die mächtigsten Akteure der Weltbühne bleiben, aber die Hauptkonflikte der Globalpolitik werden zwischen Nationengruppen und verschiedenen Zivilisationen auftreten. Der Zusammenprall der Zivilisationen wird die Weltpolitik dominieren.2 Seine Prophezeiung ist als selbsterfüllend zu bezeichnen, da Huntington Zivilisationen über ihre Bruchlinien zu anderen Zivilisationen definiert und, wie einige Autoren anmerkten,3 aufgrund der Rückwirkung seiner Thesen auf öffentliche Debatten. Bruchlinien sind offensichtlich genau die notwendigen Bedingungen für Konflikte. Andererseits stellt Huntington die Nation als ein nur vorübergehendes Ordnungselement der Weltgemeinschaft dar, das aus den früheren, kleineren dynastischen Ordnungseinheiten („Princes“) emergierte und in der höchsten Ordnungseinheit „der Zivilisation“ mündet.4
Ich beginne diesen Essay mit Huntingtons „The Clash of Civilizations“ weil er ein prominentes Beispiel eines populärwissenschaftlichen Aufsatzes ist, der nicht scharf umgrenzte Begriffe wie „Zivilisation“ und „Nation“ benutzt und aus diesen dann versucht alternativlose Zukunftsszenarien zu entwickeln. Welche Vorhersagekraft können solche Szenarien überhaupt haben, wenn die zugrundeliegenden Begriffe sich der Objektivität größtenteils entziehen?
Da Huntington zur Definition der Zivilisation die gleichen Merkmale angibt wie auch ab dem 18. Jahrhundert versucht wurde den Begriff der Nation zu erfassen, als Menschengruppe mit gemeinsamer Kultur, so kann man sich die Frage stellen, wo überhaupt der qualitative Unterschied zwischen den zukünftigen „clashs of civilizations“ und den historischen „clash of nations“ liegen mag. Es lässt sich einzig ein quantitativer Unterschied zwischen Nation und Zivilisation ausmachen. Die Zivilisation steht in der Hierarchie der kulturellen Heterogenität eine Ebene höher als die Nation. Aber aus diesem quantitativen Unterschied konstruiert Huntington qualitative Verschiebungen in der Weltpolitik 56. Zwar unterschlägt er die massive Verkürzung der realen Distanzen durch die Globalisierung zwischen Menschen der Welt nicht,7 die zu einer „erhöhten Anzahl von Interaktionen“ zwischen Menschen unterschiedlicher Zivilisationen führt, aber er schließt daraus fatalistisch und ohne andere Möglichkeiten abzuwägen, dass es daher zu erhöhtem Konfliktpotenzial kommen muss.8 Ganz klar war das Internet 1993 noch nicht so omnipräsent und immer verfügbar wie heute, aber die Tendenz der Entstehung eines globalen, frei verfügbaren, Kommunikations- und Informationsnetzwerkes waren auch damals schon ersichtlich.9 Warum sollte dieser Quantensprung in der internationalen Kommunikation nun nicht genau das Gegenteil bewirken, den „agree of civilizations“
K.W. Deutsch entwickelte in seiner Dissertation 1953 das seitdem viel beachtete Konzept des Volkes als „Personengruppe mit komplementären Kommunikationsgewohnheiten“ und der Nation als ein „Volk, das Kontrolle über eigene Institutionen gesellschaftlichen Zwanges gewonnen hat, was eventuell zu einem voll ausgebildeten Nationalstaat führen kann.“ D.h. eine Gemeinschaft ist nicht einfach deshalb eine Gemeinschaft, weil es Gemeinsamkeiten wie Nachbarschaft, Sprache, Kultur, Geschichte oder Tradition besitzt, sondern weil es daher effektiver Kommunizieren kann. Mit diesem Blick wird klar, dass das Internet als das bislang effektivste Kommunikationsmittel der Menschheit, die momentane Weltordnung der Nationalstaaten gewaltig verändern wird und zwar nicht einfach hin zu Übernationalstaaten in Form von Zivilisationen wie Huntington prophezeit.
Denn aufgrund des globalen, dezentralisierten, zeitlosen, günstigen, einfachen, digitalen, individuellen, immateriellen, sicheren, geheimen und anonymen Charakters des Internets10 sowie dem erhöhten Bildungszugang aller Menschen und damit der massiven Verbreitung von Englisch als Lingua Franca, wird die Kommunikation auch zwischen Menschen, die nicht Mitglieder gleicher Nation oder gar Zivilisation sind, effektiver. Und gerade das ist laut Deutsch ein Baustein hin zu einer gemeinsamen Nation. Daher spreche ich beim Internet von einer „virtuellen Nation“.
Im Folgenden soll kurz die Definitionsgeschichte des Begriffes „Nation“ umrissen werden, um dann zu erörtern in wie fern man das Internet als Nation bzw. virtuelle Nation bezeichnen kann.

Definitionsgeschichte des Begriffes „Nation“


Beginnen möchte ich mit einem Zitat bezüglich der Eingrenzung von „Nation“ des britischen Ökonom und Verfassungstheoretiker W. Bagehot (1826- 1877):
„Wir wissen, was es ist, solange uns niemand danach fragt, aber wir können es nicht sofort erklären oder definieren.“11
Es wird sich herausstellen, dass knapp 150 Jahre später dies eigentlich die einzige Konstante der Definitionsversuche von „Nation“ ist.
Ansonsten kann man konstatieren, dass der Nationbegriff irgendwo zwischen Volk, Land und Staat angesiedelt ist. „Eine genaue Begriffsbestimmung ist regelmäßig mit der Schwierigkeit konfrontiert, die Nation zum Volk einerseits und vom Staat andererseits klar abzugrenzen.“12
Angefangen bei J. G. Fichte (1762 - 1814), der jedem Volk einen Nationalcharakter zuordnete, also gewisse Eigenschaften bestimmten Nationen zuordnete, entbehren die meisten Definitionen jeglicher messbaren Observablen. So versuchte Otto Bauer (1881-1938) den Grundgedanken des Nationalcharakters so zu präzisieren, dass er mit der offensichtlichen Beobachtung, dass der Nationalcharakter nur einer unter vielen, wenn überhaupt, marginaler Charakterzug eines Individuums ist, in Einklang steht. Bei der Suche nach einer objektiven Observablen in den gemeinsamen Eigenschaften eines Volkes versuchte er diese im „gemeinsamen Schicksal“ zu finden, welches als immer währende Kraft auf die Mitglieder eines Volkes einwirkt und sie zu einer Nation „zusammendrückt“ in eine „Charaktergemeinschaft“.13
Im Endeffekt blieben alle Definitionsversuche in dem Ansatz stecken möglichst objektive Abgrenzungsmerkmale zwischen Menschengruppen zu finden. In der Hochphase der Nationbildung im 18. und 19. Jahrhundert wurden so schließlich alle in Frage kommenden Merkmale, anhand derer sich Gruppen unterscheiden lassen, durchkonjugiert. Immerhin konnte Meinecke (1862-1954) zu einer Klassifizierung dieser vielen Nationsdefinitionen nach Staatsnation und Kulturnation einführen. Ernest Renan (1823 - 1892) widersprach als einer der wenigen der Notwendigkeit der Gemeinsamkeit von Rasse (heute hätte er wohl das Wort Ethnie verwendet), Sprache, Religion, Territorium und legte den Schwerpunkt auf die gemeinsam ertragene Geschichte und dem Willen zur gemeinsamen Zukunft als Nation und hebt damit in ersten Ansätzen die Gemeinsamkeiten der Nation in explizit nicht messbare Eigenschaften bzw. auf die Subjektive Ebene. Die Nation ist bei ihm eine reine Imagination - eine kollektive gleiche Willensentscheidung.
Neben den schon erwähnten Beiträgen Deutschs der eine Nation als Gruppe mit Kommunikationsvorteilen sieht, muss aber auch noch die Definition der Nation als „eine vorgestellte politische Gemeinschaft — vorgestellt als begrenzt und souverän.“ von B. Anderson erwähnt werden („imagined Community“). Demnach existiert die Nation hier explizit nur in den Köpfen, da ihre Mitglieder sich aufgrund der Vielzahl nicht alle kennen können und trotzdem die Vorstellung einer Gemeinschaft haben (Wohingegen Renan dieser Gedanke wohl nur implizit unterstellt werden kann). Außerdem kann so der Definitionsansatz umgekehrt werden: Es ist nicht zuerst die Gemeinschaft da, die sich dann zu einer Nation aufschwingt, sondern der (wie auch immer zustanden gekommene) Korpus der Nation formt aus seiner Menschenbefüllung erst die Gemeinschaft bzw. stellt die Grundlage der vermeintlichen Gemeinsamkeiten der Menschengruppe.14
Schon Schopenhauer (1788-1860) hatte wohl diesen Gedanken, dass erst die Nation selbst gemeinschaftstiftend ist und nicht andersherum, als er etwas deprimiert niederschrieb: „Die wohlfeilste Art des Stolzes hingegen ist der Nationalstolz. Denn er verrät in dem damit Behafteten den Mangel an individuellen Eigenschaften, auf die er stolz sein könnte, indem er sonst nicht zu dem greifen würde, was er mit so vielen Millionen teilt. Wer bedeutende persönliche Vorzüge besitzt, wird vielmehr die Fehler seiner eigenen Nation, da er sie beständig vor Augen hat, am deutlichsten erkennen. Aber jeder erbärmliche Tropf, der nichts in der Welt hat, darauf er stolz sein könnte, ergreift das letzte Mittel, auf die Nation, der er gerade angehört, stolz zu sein. Hieran erholt er sich und ist nun dankbarlich bereit, alle Fehler und Torheiten, die ihr eigen sind, mit Händen und Füßen zu verteidigen.“
Zusammenfassend besteht die Definition der Nation aus objektiven und subjektiven Elementen. Eine Menschengruppe, mit gewissen gemeinsamen Eigenschaften wie räumliche Geschlossenheit des Siedlungsgebietes, gemeinsame Abstammung, Sprache, kulturelle Tradition, Geschichte, besondere psychische Wesensart und Gemeinschaftsbewusstsein die sich von anderen derartigen menschlichen Gemeinschaften unterscheiden. Wobei aber keine der angeführten Charakteristiken notwendig oder hinreichend wären. Welche Eigenschaften wichtig sind, sind rein subjektiv bestimmt, gar ist die Gemeinschaft nur eine Vorstellung und ihre Präferenz gegenüber Anderen rührt aus der effektiveren Kommunikation im Inneren der Gemeinschaft als mit Außenstehenden her. Zusätzlich soll eine solche Gemeinschaft den Willen besitzen eine dauerhafte und selbstständige Existenz zu führen, über deren Form sie selbst entscheidet und sich in der Bereitschaft der Angehörigen dieser Gemeinschaft ausdrückt, Opfer für sie zu erbringen.

Internet als virtuelle Nation


Den vorherigen Abschnitt fasse ich nun in folgender „Checkliste“ zusammen
  1. Eine Nation ist eine Menschengruppe
  2. Die Menschengruppe besitzt eine gemeinsame Kultur, so dass sie effizient kommunizieren kann
  3. Eine Menschengruppe mit „objektiven“ Gemeinsamkeiten, beispielsweise
    1. Territorium
    2. Abstammung
    3. Sprache
    4. kulturelle Tradition
    5. Geschichte
    6. Religion
  4. Die Menschengruppe definiert sich über die Abgrenzung zu anderen Menschengruppen
  5. Der Wille eines jeden Individuums der Gruppe zur zukünftigen Fortführung der Gemeinschaft, gegebenenfalls unter Aufopferung

Erfüllt das Internet genügend Punkte dieser Liste um als Nation bezeichnet zu werden? Beginnen möchte ich mit den offensichtlich strittigen Punkten:
Ein wesentliches Merkmal bei den meisten Definitionen einer Nation ist Punkt 4, also die Definition der Nation als Gruppe die andere Eigenschaften hat als eine zweite Gruppe, eine Definition über Abgrenzung.
Das Internet bildet im Vergleich zu Huntingtons Zivilisation als Übernation eher eine Transnation, denn das Internet besteht aus Menschen aller Nationen der Welt: Sie umfasst Menschen verschiedenster „konventioneller“ Nationen die Zugang zum Internet haben. Hier stellt sich natürlich die Frage, ob ein Individuum Mitglied zweier Nationen gleichzeitig sein kann: Seiner „konventionellen“ Nation und der „virtuellen“ Nation Internet. In Zeiten des „Multikulturalismus“ können Menschen mehreren Kulturen anhängen und mit der Deklaration eines Zweitwohnsitz offiziell in zwei „Territorien“ leben. Ich meine ein Mensch kann nun einer „konventionellen“ und einer „virtuellen“ Kultur angehören. Dabei ist mit „virtueller Kultur“ nicht eine imaginierte Kultur gemeint, sondern die Kultur, d.h. Verhaltensweise gegenüber anderen Menschen, im Internet. Die Netzkultur. Genauso kann ein jeder Mensch einen „konventionelle“ wie auch „virtuellen“ Wohnsitz haben, zumindest haben die meisten Internetnutzer eine Email-Adresse, die zumindest dem Postboten als Anschrift des „virtuellen“ Wohnsitzes dient. Ich stelle hier also die These auf, dass ein jeder Mensch quasi Schizophren ist und sobald er sich in die Neue Welt des Internets begibt eine andere Persönlichkeit annimmt, samt neuer Adresse. Dass er der Internetgemeinschaft angehört, und sich, solange er im Internet verweilt, anderen Gebräuchen, Tabus und Verhaltensweisen unterwirft und dann zurück schlüpft in seine „konventionelle“ Kultur. Der Widerspruch, der die die Definitionsgrundlage einer Nation ist, ist quasi in jedem Internetnutzer in Form dieser Schizophrenie vorhanden.
Losgelöst von diesem Punkt stellt sich über allem die Frage, ob jeder Internetnutzer automatisch zum Mitglied der Internetnation wird oder ob es Internetbenutzer und Internetmitglieder gibt oder nur ersteres oder nur letzteres. Welche Menschen sind also bei der in Punkt 1 genannten Menschengruppe gemeint. Ist es so wie in den USA, dass jeder in ihrem Territorium geborener Mensch Amerikaner ist, also alle Internetnutzer allein durch die Nutzung der virtuellen Welt der Internetnation angehören? Oder muss ein Internetmitglied sich willentlich zu seiner Mitgliedschaft bekennen (z.B. so wie Renan es verstand), z.B. dadurch, dass er seine Zelte in Form einer eigenen Webseite, Blogs oder gar nur Email-Account in der virtuellen Landschaft aufschlägt, also wirkliche Spuren in der neuen Welt hinterlässt?
Zumindest kann man das Siedlungsgebiet der Internetgemeinschaft als Gemeinsamkeit und wohl abgegrenzt zu dem jeder anderen Nation anführen, denn es handelt sich um den virtuellen Raum, der durch Datenleitungen und Serverfarmen seine Physis besitzt, aber eigentlich nur eine Imagination im Geiste der Nutzer und Mitglieder ist. Dessen Imagination aufgrund der Reproduzierbarkeit der Wanderwege durch diesen Raum durch Hyperlinks zur Realität wird. Wie angemerkt fehlt wohl möglich dem Internet, als eine erste Version einer Weltgemeinschaft, zum vollen Nationenstatus die Definitionsmöglichkeit über Abgrenzung. Dagegen ist der 3. Punkt der Checkliste ein „Selbstläufer“. Territorium ist abgehakt, Internetkultur unter den Schriftzügen „Netzkultur“ und „Cyberculture“ und Internetgeschichte sind aktueller Forschungsgegenstand und daher existent. Die Sprache ist auch bei „konventionellen“ Nationen kein notwendiges Kriterium (siehe z.B. Schweiz oder Kanada, China und Indien). Aber die Amtssprache des Internets ist de facto Englisch und die Programmier- und Skriptsprachen, die sogar neue Syntax-Elemente wie Klammern und Begin- und End-Blöcke hervorbrachten werden von einem Großteil der Internetmitglieder „gesprochen“ und bilden zusammen mit dem „Netzjargon“ (wie der lächerlichen Abkürzung LOL) einen Teil der Netzkultur.
Jerry Everard stellt in seinem Buch „Virtual States: The Internet and the Boundaries of the Nation State“ die globale Telekommunikation als einen Schritt in der Tradition des menschlichen Netzwerkens dar. Ein Quantensprung in der Kommunikationsmöglichkeit. Außerdem vergleicht er das physische Rückrat und die von Menschen darauf installierte Software, die zusammen die leere Hülle des Internets konstituieren mit dem Staatskörper, der als Hüllkörper einer Nation aufgefasst werden kann. Somit ist das Internet nicht nur eine Nation, sondern gar ein Nationalstaat.
Aktuellen Diskussionen bezüglich Zensur im Internet, modernen Lizenzsystemen für kopierbare Medien und der Unmengen an eingebrachter Freizeit in die Erstellung von freiem Inhalt, freier Software und Befreiung von Informationen weisen darauf hin, dass die Internetbewohner sehr wohl opferwillig (so wie es Renan vermutlich verstand) und willens sind ihre Zukunft in der Internetgemeinschaft voranzutreiben. Somit ist Punkt 5 auch abgehakt.
Die virtuelle Nation Internet als Verbindung zwischen allen Menschen aller Zivilisationen ist offensichtlich ein Kulturmerkmal aller dieser Menschen und ermöglicht grenzenlose, effiziente Kommunikation (Punkt 2). Es haben sich gewisse Bräuche bei der Kommunikation im Internet herausgebildet (Emoticons, Betreffzeile im Email-Verkehr, überhaupt sind die üblichen Diskussionsforen stark strukturiert nach Inhalten und Form) Man darf daher mit Recht anmerken, dass somit den sonstigen Kulturunterschieden zwischen Individuen verschiedener Zivilisationen eine Gemeinsamkeit hinzugefügt wird, die weit über das nackte „Mensch-Sein“ hinausgeht. Somit lässt sich die Entwicklung der virtuellen Nation Internet als starker Zweifel an Huntingtons fatalistischen Clash der Zivilisationen anführen.
So wie kein englischer, französischer und spanischer König im 15. Jahrhundert vorhersehen konnte, dass seine Kolonien in der neuen Welt, d.h. einzelne Mitglieder ihrer Völker, eine neue Nationen bilden würden (allen voran die USA), so kann man auch die zukünftige weltpolitische Einordnung des Internets nicht vorhersagen. Einige oben gestellte Fragen und Probleme bleiben unbeantwortet, doch erfüllt das Internet „erschreckend“ viele Eigenschaften einer Nation, um den Begriff „virtuelle Natioin“ zu rechtfertigen.

Was soll das?


Welchen Nutzen kann man daraus ziehen, dass man das Internet als Nation bezeichnet?
Viele Menschen verbringen einen Großteil ihres Lebens im Internet. Sie entwickeln dort neue Ideen, Geschichte passiert in dieser „virtuellen Welt“. Es werden Waren in dieser Welt transportiert und gehandelt. Dieses virtuelle Land hat eine eigene Ökonomie und ihre Bewohner eine eigene Kultur. In einem Territorium, dass in einer anderen Ebene, als die Territorien der „konventionellen“ Nationen liegt. Noch gibt es keine kodifizierten Regeln der Internetgemeinschaft, aber teilweise werden Gesetze von einigen „konventionellen“ Staaten in dieser „virtuellen“ neuen Welt angewendet. Aber die verschiedenen Rechtsnormen der „konventionellen“ Staaten, denen die einzelnen Individuen der Internetgemeinschaft auch angehören, führen zu Widersprüchen. Die Auffassung des Internets als Nation könnte den Gedanken an eine Internetregierung, die Gesetze in dem virtuellen Raum erlässt, weniger lächerlich erscheinen lassen.
Aus einem anderen Blickwinkel kann man aber auch konstatieren, dass wenn man das Internet als Nation bezeichnen kann, dieser Begriff eine derartige Unschärfe und subjektive Definitionshoheit innehat, dass er aus dem wissenschaftlichen Diskurs verbannt werden sollte.
Durch die verbindende Wirkung des Internets sehe ich Huntingtons Prophezeiung als sehr unwahrscheinlich an und prophezeie selber, dass das Internet der Prototyp einer Weltnation wird, wenn dem nicht schon so ist.

Literatur


1 „It is my hypothesis that the fundamental source of conflict in this new world will not be primarily ideological or primarily economic. The great divisions among humankind and the dominating source of coflict will be cultural.“ Samuel P. Huntington: The Clash of Civilizations? (1993).
2 „Nation states will reamain the most powerful actors in world affairs, but the principal conflicts of global politics will occur between nations and groups of diffrent civilizations. The clash of civilizations will dominate global politics. The fault lines between civilizations will be the battle lines of the future.“ Samuel P. Huntington: The Clash of Civilizations? (1993).
3 „Dieser Einfluss auf öffentliche Debatten führte zu dem Vorwurf, Huntington habe eine ’Self-fullfilling Prophecy’ verfasst“. Oliver Bruns: Einwände gegen Huntingtons These vom „Kampf der Kulturen“ (2008).
4 „For a century and a half after the emergence of the modern international system with the Peace of Westphalia, the conflicts of the Western world were largely among princes-emperors, absolute monarchs and constitutional monarchs attempting to expand their bureaucracies, their armies,their mercantilist economic stringht and, most important, the territory they ruled. In the process they created nations states, and beginning with the French Revolution the principal lines of conflict were between nations rahter than princes. In 1793, as R.R. Palmer put it, “The wars of kings were over; the wars of peoples had begun.“ This nineteenth century pattern lasted until the end of World War I. Then as result of the Russian Revolution and reaction against it, the conflict of nations yielded to the conflict of ideologies, first amon communism, facism-Nazism and liberal democracy [...]. These conflicts between princes, nation states and ideologies were primarily conflicts wihtin Western civilization, “Western civil wars”, as William Lind has labeled them.[...] With the end of the Cold War, international politics moves out of its Western phase, and its centerpiece becomes the interaction between the West and non-Western civilizations and among non-Western civilizations.[...] It is far more meaningful now to group countries not in terms of their political or economic systems or in terms of their level of economic devolopment but rather in terms of their culture and civlization.” Samuel P. Huntington: The Clash of Civilizations? (1993).
5 „What do we mean when we talk of civilization? A civilizations is a cultural entity. Villages, regions, ethinc groups, nationalities, religious groups, all have distinct cultures at different levels of cultural heterogeneity. The culture of a village in southern Italy may be different from that of a village in northern Italy , but both will share in a common Italia culture that distinguishes them from German villages. European communities, in turn, will share cultural features that distinguish them from Arab or Chines communities.[...]The civilization to which he belongs is the broadest level of identification with which he intensely identifies.[...] Civilizations may involve a large number of people, as with China (“a civilization pretending to be a state”, as Lucian Pye put it).[...] A civilization may include several nation states, as is the case with Western, Latin American and Arab civilizations, or only one, as is the case with Japanese civilization.[...]Civilizationsobviously blend and overlap, and include subcivilizations.[...]Westeners tend to think of nation states as the principal actors in global affairs. They have been that, however,for only a few centuries. The broader reaches of human history have benn the history of civilizations.“ Samuel P. Huntington: The Clash of Civilizations? (1993).
6 „Civilizations are diffrentiated from each other by history, language, culture, tradition and, most important, religion.“ Samuel P. Huntington: The Clash of Civilizations? (1993).
7 „Second, the world is becoming a smaller place. The interactions between peoples of different civilizations are increasing; these increasing interactions intensify civilization consciousness and awareness of differences between civilizations and commonalities within civilizations.“ Samuel P. Huntington: The Clash of Civilizations? (1993).
8 „North African immigration to France generates hostility among Frenchmen and at the same time increased receptivity to immigration by “good” European Catholic Poles. Americans react far more negativel to Japanese investment than to larger investments from Canada and European countries.“ Samuel P. Huntington: The Clash of Civilizations? (1993).
9 Schon im Vorwort des Buchs „Network Nation“ (1993) von Hiltz und Turoff aus dem Jahre 1979 schreibt Suzanne Keller: „In their intriguing new book, Hiltz and Turoff explore the emergence of a new form of communication called computerized conferencing. [...] The authors expect it to revolutionize not only communications but social and intellectual life as well.“
10 Charakterisierung des Internets nach Christoph Engel „The Internet and the Nation State“ (1999)
11 „The question is most puzzeling, though the fact is so familiar“ in Bagehot: Physics and Politics (1872), S. 83
12 Dietmar Meister in Zwischen Faschismus und Widerstand. Nationalismen in Südtirol“ (2009), Magisterarbeit an der Uni Wien
13 Die Frage „Doesn’t everyone [...] know Germans who nervertheless have nothing of that which otherwise is regarded as the German national character?” beantwortete Bauer mit dem Versuch zwischen Ähnlichen Charaktären zu unterscheiden. Bauer: „deeper conception of a community of character; this no longer means for us that the individuals of the same nation are similar to each other but that the same force has acted on the character of each individual- no matter how different the other forces may be which are effective beside it [...] While [...] similarity of character can only be observed in the majority of members of the nation, the community of character, the fact that they all are the products of one and the same effective force, is common to all of them without exception. This effective force, that which is historical in us, is that which is national in us. It is this which welds us into a nation“
14 So kommt er zum Schluss, dass „nicht die Bestrebungen von Nationen [...] den Nationalismus [schaffen], vielmehr schaffe sich der Nationalismus seine Nationen“.

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